Green Building in Rotterdam
- burkhalterlaw
- 26. Nov.
- 4 Min. Lesezeit

Wie gelingt es den Niederlanden, Zirkularität in der gebauten Umwelt umzusetzen? Diese Frage stand im Zentrum einer zweitägigen Reise nach Rotterdam, bei der eine Delegation von Green Building in verschiedene Bauprojekte eintauchte und die lokale Planungskultur erkundete.
Problemfeld Zirkularität
Als Vorbereitung referierte Michael Widmer, Geschäftsführer des Vereins Baustoff Kreislauf Schweiz, über die zentralen Herausforderungen der Kreislaufwirtschaft in der Schweiz. Jährlich fallen hierzulande rund 75 Millionen Tonnen Abfall an, wovon 19% auf Rückbaumaterial und 65% auf Aushub- und Abbruchmaterialien zurückzuführen sind. Der Übergang von einem linearen Modell zu einem regenerativen System ist zukunftsweisend. Ein solcher regenerativer Ansatz beruht auf Langlebigkeit und Wiederverwendung, auf Reparatur, Wartung und konsequenter Materialrückgewinnung ebenso wie auf der Regeneration natürlicher Systeme und der Vermeidung von Abfällen und Emissionen. Abfall, Klimawandel und Ressourcenknappheit bilden eine ineinandergreifende Herausforderung und müssen daher zusammengedacht werden. Die aktuellen Recyclingquoten zeigen zwar Fortschritte, aber auch Grenzen: Stahl, Aluminium und Zink erreichen hohe Werte, während Gips, Flachglas und Holz deutlich zurückbleiben. Vor diesem Hintergrund stellte sich die Frage, ob in den Niederlanden konkrete Impulse und übertragbare Lösungsansätze erkennbar sind.
Zwei internationale Büros im Fokus

Die Delegation startete mit einem Besuch des Projekts «The Valley» in Amsterdam Zuid. Das Hochhausprojekt mit drei Türmen des international tätigen Büros MVRDV beherbergt eine Mischung aus Wohnen und Arbeiten und basiert auf einer abgetreppten Gebäudestruktur, deren Formgebung sich massgeblich auf Basis der Faktoren Licht, Ventilation und Lärmschutz entwickelte.

MVRDV setzte digitale Werkzeuge ein, um das Muster der Natursteinfassade so zu gestalten, dass möglichst wenig Verschnitt entstand. Kühlende Wasserflächen sind zugleich eine technische Massnahme und beleben die Raumatmosphäre in den Erschliessungsräumen auf verschiedenen Ebenen des Gebäudekomplexes. Obwohl
die Erschliessungsräume innen wie aussen bewusst öffentlich zugänglich sind, sind sie nicht stark besucht – was nicht zuletzt an den starken Winden liegen dürfte, die auf den Terrassen spürbar waren. Besonders eindrücklich war die Geschwindigkeit der lokalen Behörden: Die Baubewilligung für ein derart grossvolumiges Projekt mit einer Bruttogeschossfläche von 75'000 m2 lag nach zwei Jahren vor. Gleichzeitig wurde deutlich, wie rasch sich technische Standards in Bereichen wie Nachhaltigkeit und Fassadenisolation verändern, die heute bereits überholt erscheinen. Im nachfolgenden Bürobesuch erwähnte MVRDV, dass Bodeneingriffe wie Tiefgaragen erhebliche CO₂-Treiber darstellen und diese deshalb bewusst hinterfragt oder reduziert werden. Diese Überlegungen fügen sich in zentrale Leitgedanken von Dichte, Vertikalität, Diversität und datenbasiertem Design ein, die das Büro derzeit prägen. Ausserdem hat es kürzlich eine eigene Software zur Bestimmung des CO₂-Fussabdrucks von Gebäuden lanciert.

Am Folgetag bot der Besuch beim Office for Metropolitan Architecture (OMA)
in Rotterdam einen vertiefenden Blick auf die Herausforderungen des nachhaltigen Bauens in den Niederlanden. Die Ankunft im Büro beeindruckte mit einer Sammlung architektonischer Modelle bekannter Bauten wie dem Casa da Música in Porto oder der drei Türme «De Rotterdam», die der Delegation bereits auf dem Hinweg im Stadtbild aufgefallen waren. Im Zentrum des Besuchs stand jedoch das von aussen eher unscheinbare, vor rund zehn Jahren errichtete «Timmerhuis», eine Erweiterung des historischen Verwaltungsgebäudes «Stadstimmerhuis», das im gleichen Zuge saniert wurde. Der Projektleiter schilderte in seinem Vortrag, wie ein dreidimensionales Raster aus modularen Einheiten für den Neubau entwickelt wurde. Diese als «Pixel» bezeichneten Einheiten sollten flexibel auf unterschiedliche Nutzungen reagieren können, was sich jedoch nur teilweise realisieren liess. Die Module fügen sich zu

einem Gebäudekomplex mit städtischen Dienstleistungen, Büros und Wohneinheiten.
Als «Cloud» konzipiert, wurde es architektonisch wie atmosphärisch als ein leichtes, schwebendes Volumen formuliert. Durch die Speicherung und Wiederverwendung von Wärme im Atrium sowie durch die Nähe zu Fernwärme und öffentlichem Verkehr erreichte das Projekt einst eine exzellente BREEAM-Bewertung.

Gleichzeitig wurde sichtbar, dass die grosse
Menge an verbautem Stahl in der heutigen Situation kaum mehr realisierbar wäre. Die Frage, welche Materialien unter künftigen politischen und ökologischen Rahmenbedingungen verantwortbar sind, scheint im niederländischen Diskurs deutlich präsenter als vielerorts in der Schweiz.
Zwischen lokalen Innovationen und Marktwirksamkeit

Besonders überraschend war die Führung
durch «BlueCity», ein ehemaliger
Indoor-Schwimmpark der 1980er-Jahre, der heute ein lebendiger Ort für zirkuläre Start-ups und experimentelle Produktionsformen ist. Eine Mitarbeiterin des Architekturbüros Superuse, das für die architektonische Umgestaltung verantwortlich ist und selbst im Gebäude ansässig ist, führte durch die Räume, in denen

Zirkularität sichtlich gelebt wird.
Von Fenstern über Türen bis zu Tischen – in der «BlueCity» wimmelt es von wiederverwendeten Bauteilen. Die für die Führung zuständige Mitarbeiterin hatte ein Berufsbild, das für viele neu war: Im Architekturbüro ist sie als Material Scout tätig. Material Scouts identifizieren systematisch wiederverwendbare Bauteile, vernetzen Akteure und sorgen dafür, dass Materialien in Umlauf bleiben, bevor sie zu Abfall werden. In Rotterdam existieren inzwischen funktionierende Baustoffbörsen, die von Abbruchfirmen betrieben werden und die Wiederverwendung wirtschaftlich attraktiv machen. Die Herausforderung der Lagerung bleibt zwar bestehen, doch je höher der Materialfluss und je effizienter die digitalen Handelsplattformen, desto weniger fällt dies ins Gewicht. Auch werden solche Initiativen getragen von dem politischen Ziel der Zirkularität: Die niederländische Regierung verfolgt im Rahmen ihres Programms «A Circular Dutch Economy» bis 2050 eine vollständige Umstellung auf Kreislaufwirtschaft.[1] Daraus entwickeln sich auch regionale Anreize, was die Mitarbeiterin von Superuse in der Führung betonte.
Pragmatismus in der Umsetzung
Aus diesen Begegnungen wurde deutlich, dass Zirkularität in den Niederlanden nicht primär als moralische oder rein technische Aufgabe verstanden wird, sondern als politische, wirtschaftliche und planerische Frage. Re-Use ist in gewissen Orten wie der «BlueCity» nicht mehr nur Experiment, sondern etablierter Bestandteil der Wertschöpfung. Gleichzeitig überschneiden sich viele Herausforderungen mit jenen in der Schweiz, etwa der Umgang mit Schadstoffen oder die Frage der Demontierbarkeit. In Rotterdam scheint eine pragmatische Planungskultur das Tempo sowie die Behörden- und Fehlerkultur in Richtung einer grösseren Innovationsbereitschaft zu beeinflussen. Entscheidende Impulse entstehen dort, wo Projektentwickler:innen, Planende, Materialverantwortliche und Behörden gemeinsam denken und handeln.

Diese Schnittstellen sind zentral für eine funktionierende Kreislaufwirtschaft, da sie Materialströme, Verantwortung und wirtschaftliche Anreize miteinander verbinden. Zirkularität bezieht sich in diesem Verständnis nicht allein auf Materialien, sondern erfordert neue Prozesse, Rollen und Märkte, um schliesslich zu einer neuen Kultur des Bauens zu gelangen. Die Entstehung von Berufsprofilen wie den Material Scouts könnte auch für die Schweiz interessant werden, sofern der Anreiz für die Wiederverwendung von Bauteilen gestärkt wird. Ebenso braucht es Orientierung und Best-Practice-Sammlungen für zirkuläres Bauen. Die Erfahrung in Rotterdam machte deutlich, wie viel Potenzial freigesetzt werden kann – oder eben auch verloren geht – wenn Verwaltung, Architektur, Wirtschaft, Bauunternehmen und Logistik gemeinsam an realistischen, ambitionierten Lösungen arbeiten. Für die Schweiz stellt sich die Frage, welche Schritte nötig sind, um Zirkularität wirksam von der Theorie in die Praxis zu überführen. Die Reise zeigte, dass Zirkularität insbesondere dann funktionieren dürfte, wenn sie pragmatisch gedacht und politisch ermöglicht wird.



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